I. TEIL: Von der Urzeit bis zum Jahre 1500
Die ersten Bewohner dieser Gegend lebten wahrscheinlich in der mittleren Steinzeit, die vor fünf bis zehn Jahrtausenden war. Sie fertigten die meisten Werkzeuge aus Feuerstein, dessen Knollen sie in den nahen Kalkfelsen massenhaft fanden. In der damals zum grössten Teil noch mit Wasser bedeckten Talebene konnten jene Steinzeitmenschen fischen und in den umliegenden Wäldern nach Herzenslust jagen. Sie waren noch keine sesshaften Bauern, sondern Nomaden, d.h. umherziehende Leute, hatten aber im Breistel oberhalb des heutigen Dorfes doch einen etwas länger benützten Siedlungsplatz, wo neben anderem mittelsteinzeitliche Messerklingen, Schaber und Stichel zum Vorschein gekommen sind. Aus der Dielsdorfer Fundmappe des Landesmuseums ist ferner zu ersehen, dass man im Ried zwei Beilchen aus der jüngeren Steinzeit der Jahre 3000-1800 vor Chr. entdeckt hat. Hiesige Bodenfunde aus den nachfolgenden Bronze- und Eisenzeiten sind nicht bekannt und einige römische Gegenstände ganz unbestimmt. Trotzdem ist es möglich, dass vereinzelte Helvetier und Römer hier gelebt haben, was z.B. die Bezeichnung der am Berg gelegenen Steimüri andeutet. An die Alemannenzeit erinnern sodann jene Funde, die im Juni 1938 beim Bau eines Hauses an der Wehntalerstrasse gemacht wurden. Da stiess man auf neun nach Osten gerichtete Gräber mit fünf weiblichen und vier männlichen Skeletten. Den Toten waren auf ihre Reise ins Jenseits Schmucksachen und Waffen mitgegeben worden, die noch aus dem 7. Jahrhundert stammen, z.B. Halsketten, prächtige Gürtelschnallen, Ohrringe sowie Schwerter und Messer. Dieser Begräbnisplatz lag ausserhalb der damaligen Ansiedlung, die wohl ums Jahr 500 nach Chr. gegründet worden war und zwar durch den germanischen Anführer Theodolf. Er kam wie die anderen Alemannen von Norden her in diese Gegend. Da er offenbar viele Verwandte oder Untergebene hatte, liess er durch sie hier nicht nur einen Hof, sondern gleich ein ganzes Dorf erbauen, das nach ihm Theodolfsdorf genannt wurde. Warum entstand es gerade an dieser Stelle und nicht anderswo? Der Hauptgrund war das Vorhandensein eines Baches, der Menschen und Vieh genügend mit Wasser versorgte. Ferner ging hier vermutlich ein alter, vom Wehntal her kommender Weg hindurch. Weiter unten war das Land zu stark versumpft, und bergwärts befanden sich ausgedehnte Waldungen. Diese konnte man vom Tal aus bequem roden, und beide Gebiete enthielten als weitere Lochmittel wohl immer noch auffallend viele Fische und Wildtiere. Als die Alemannen hierher gekommen waren, übergab ihnen der Anführer den grösseren Teil des Landes zur Benützung. Einige Stücke und die Wälder wurden aber für gemeinsame Zwecke zurückbehalten. Die Ansiedlung des alten Theodolf sah sehr einfach aus und umfasste nur das heutige Hinterdorf. Da standen wohl etwa zehn bis zwölf hölzerne und mit Stroh bedeckte Häuser. Jede einzelne Hofstatt, zu der auch ein Gärtchen gehörte, war von einer Grünhecke umschlossen. Eine solche erstellte man zum Schutz auch um das ganze Dörfchen herum. Das war der Etter, und in diesem befanden sich einige mit Gattern versehene Durchgänge, die Eschtore oder Ester genannt wurden, weil man durch sie zu den Eschen oder Zelgen gelangte. Da hier das Vieh hinaus "hemennt" (geführt) wurde, hiessen sie auch Männlöcher. Beide Bezeichnungen waren hier einst üblich, sind aber schon längst nicht mehr bekannt. Viele solche Siedlungen bildeten zusammen eine Hundertschaft, und ein noch grösseres Gebiet nannte man Gau. Bei uns war dies der Thurgau, der sich einmal bis nach Turgi hinab erstreckte und von dem der Zürichgau erst im 9. Jahrhundert abgetrennt wurde. Unsere Stammväter, über die in andern Kapiteln noch mehr zu lesen ist, gerieten schon früh unter die Herrschaft der benachbarten Franken, die Alemannen aber nicht besetzten. Dessen Bewohner nahmen nach dem Jahre 600 den christlichen Glauben an und hatten bereits Gesetze und Landsgemeinden. Schon damals gab es reiche Adelige, freie Bauern und arme Knechte. Regiert wurde unser Land zeitweise durch Grafen und Herzöge und dann lange von deutschen Königen.
Erste Erwähnung
Im Sommer des Jahres 861 ritt der tatkräftige Abt Grimald von St. Gallen mit einem grossen Gefolge durch das Zürichbiet, um daselbst verschiedene Besitzungen zu besichtigen. Am 18. Juni kam diese vornehme Gesellschaft auch nach Dielsdorf, und da schrieb ein Mönch in der damals üblichen lateinischen Sprache auf Pergament eine Urkunde, die heute im St. Galler Stiftsarchiv aufbewahrt wird. Sie ist auf der ersten Tafel abgebildet, und jener Satz, worin erstmals der hiesige Ortsname vorkommt, wird auch an dieser Stelle wiedergegeben. Da steht im Zusammenhang mit den in der nachfolgenden Übersetzung erwähnten Gütern die Bedingung "ut easdem res ad se reciperet censumque anni singulis inde persolveret, id est II denarios ad basilicam in Theolvesthoruf sitam". Der gleiche Name erscheint nachher nochmals bei der Ortsangabe. Wie man sieht, ist hier die ursprünglich wohl übliche, aber schriftlich nicht überlieferte Bezeichnung Theodolfsdorf schon zu Theolvesthoruf verändert worden. Weitere Abschleifungen ergaben die urkundlich nicht erwähnten, aber sprachgeschichtlich bedingten Zwischenformen Thelfstorf, Thelsdorf und Thielstorf, und schon vor dem Jahre 1100 kam die heutige Schreibweise auf. Die t am Anfang und in der Mitte wurden abgeschwächt; dafür brachte man später hinten noch lange zwei f an. Der vollständige Text dieser Urkunde lautet auf deutsch. Grimald, von Christi Gnaden Abt des Klosters St. Gallen, berichtet was folgt. Mit Zustimmung unserer Brüder und unseres Vogtes Ruadpert verleihen wir durch diesen Lebensbrief an Ratpert wieder alle jene Güter, die er dem heiligen Gallus übergeben hat. Der erwähnte Mann überwies uns das, was er im Ort genannt Steinmaur zu Eigentum besitzt und alles, was sein Vater und seine Mutter ihm hinterlassen hatten, nämlich Gebäude, Felder, Wiesen, Weiden, Wege, Wälder, Wasser und Wasserläufe, mit allen beweglichen und unbeweglichen Dingen, was immer genannt werden kann. Dies alles hat er dem vorgenannten Kloster übertragen unter der Bedingung, dass er diese Güter zurückerhalte und dafür alljährlich einen ins von zwei Pfennigen an die Kirche in Dielsdorf entrichte. Sollte er alles zurückkaufen wollen, so muss er dem Kloster dafür einen Schilling (12 Pfennige) bezahlen. Wenn ihn seine Gattin Ruadlind überlebt, soll sie die Güter zum gleichen Zins besitzen, aber kein Rückkaufsrecht haben. Wenn er aber die übergebenen Lehen einem seiner Verwandten hinterlassen möchte, so mag dieser die Güter übernehmen gegen einen jährlichen Zins von einem Schilling; auch er besitzt kein Rückkaufsrecht. Sollte Ratpert das erwähnte Lehen keinem Verwandten hinterlassen, so fällt es nach seinem und seiner Gattin Tod zu ewigem Eigentum an das vorgenannte Kloster. So geschehen im Ort Dielsdorf genannt in Gegenwart derjenigen, deren Namen hier aufgeführt werden: Zeichen des Abtes Grimald und des Vogtes Ruadpert, welche diese Urkunde schreiben liessen, des Dekans Hartmut, des Propstes Erlabold, des Pförtners Engilram, des Wirtes Ruadhoh, des Schatzmeisters Walther, des Verwalters Paldirit, des Kämmerers Cotabreth sowie der übrigen Zeugen Reginger, Ruadpret, Ratpret, Ruadhoh, Theotirihc, Reginhart, Hiltibold, Erchanbert, Adalbret, Engilbold, Otine, Petto, Paldker, Cotesman, Otpret, Pebo, altram und Theopret. Ich, Amalbret, ein unwürdiger Mönch, habe diese Urkunde geschrieben am Mittwoch am 14. Tage vor den Kalenden des Juli (18. Juni) im 22. Jahre des Königtums Ludwigs (861), unter dem Grafen Kerold. Manche Leser fragen sich vielleicht, wieso dieser reiche Ratpert dazu kam, dem Kloster Liegenschaften zu schenken, wenn er sie doch wieder zurückerhalten wollte. Das war deshalb so, weil im Mittelalter viele Leute eine grosse Angst hatten vor dem Jüngsten Gericht und der Hölle. Wer es vermochte, erweiterte die allgemeinen kirchlichen Bemühungen noch mit solchen privaten Stiftungen zum Heil seiner Seele, wofür dann die beschenkten Klöster durch ihre Insassen beten liessen. Dieser Trost war dem Spender wichtiger als ein Stück Land, das er ja weiterhin bebauen konnte, wenn auch nur noch als Lehenmann oder Pächter. Derartige werkheilige Schenkungen begründeten den grossen Reichtum vieler Klöster. So war z.B. die Abteil St. Gallen sogar im Emmental und Elsass und nördlich des Bodensees begütert. Obwohl die erwähnten Münzsorten gegenüber den gleichnamigen heutigen Geldstücken einen viel grösseren, gar nicht mehr genau bestimmbaren Wert hatten, was der betreffende Zins dieser so genannten Prekaria (Spende mit Rückverleihung) doch unbedeutend und gewissermassen nur eine Anerkennungsgebühr. Warum musste er denn in Dielsdorf entrichtet werden? Weil die Abtei St. Gallen dort neben der von ihr gegründeten Kirche auch noch einen grossen Hof besass, den sie wohl durch ähnliche Stiftungen erworben hatte. Nach den Namen der ältischen Beamten folgen diejenigen von 18 weiteren Zeugen. Dabei handelt es sich nicht etwa um Leute aus unserer Gegend, sonder um die ihrer Vorsteher begleitenden Mönche, was auch gilt vom erwähnten Vogte Ruadpert. Zum Datum sei schliesslich noch bemerkt, dass es lediglich die erste Erwähnung des Ortsnamens betrifft und nicht die Gründung von Dielsdorf, die ja, wie schon gesagt, viel früher erfolgt war.
Die Entstehung der Gemeinde
Die Alemannen waren von Natur aus nicht besonders gesellige Leute und siedelten sich darum mit Vorlieben in einzelnen Höfen an. Wenn sie aber wie hier ausnahmsweise in einem Dorf lebten, wurden sie zu einem gewissen Zusammenschluss gezwungen. Dieser war hauptsächlich bedingt durch den Dreizelgenbetrieb sowie durch grössere und darum gemeinsame Arbeiten im Wald, an den Strassen und Bächen, die man Gemeinwerke nannte. Ferner brachte es das enge Beissammenleben von selbst mit sich, dass sich die ursprünglich ja noch miteinander verwandten Dorfbewohner in der Not mit Rat und Tat beistanden und sich wie die Mitglieder einer landwirtschaftlichen Genossenschaft gegenseitig mit Werkzeugen, Zugtieren oder sonst aushalfen. Daneben bewandten auch rechtliche Ursachen der Gemeindebildung; denn von jeher hatten die Alemannen gemeinsame Gerichtstage abgehalten, aus denen sich mit der Zeit eigentliche Gemeindeversammlungen entwickelten. Darüber schrieb ein berühmter Gelehrter: Schon von Anfang an waren die Dorfgemeinden nicht blosse Vereinigungen von Güterbesitzern, sondern es bestand bereits ein Gesamtwille, der mit Mehrheitsbeschluss bindende Verfügungen über das Gesamtgut treffen konnte, und ein moderner Rechtshistoriker bemerkte zusammenfassend: Das mittelalterliche Dorf ist ein soziales, rechtliches und wirtschaftliches Gebilde. Dass hier ein solches Gemeinwesen bestand, deutet die alten Bezeichnungen "villa", "banno" und "Gepursami" an. Auch wenn ein besonderes Dielsdorfer Gemeindegut in den frühesten Akten noch nicht erwähnt ist, darf man annehmen, es sei vorhanden gewesen. Anders verhielt es sich mit Bächen, Wegen, Bergkuppen und Waldsäumen angedeutet und erst etwa im 14. Jahrhundert genau vermarkt. Das geschah aber nur mit unbehauenen, grossen Steinen, von denen die meisten wohl längst verschwunden sind. In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass der Dielsdorfer Gemeindebann ums Jahr 1245 bedeutend verkleinert wurde, weil der Freiherr Lütold V. Damals einen Teil davon einfach dem von ihm gegründeten Städtchen Regensberg zugewiesen hatte. Und wer besorgte im Mittelalter die Gemeindeverwaltung? Das waren zwei Beamte, die sozusagen zwischen den Grundherren und den Bauern standen. Der höhere wurde "maior domus" (oberer Hausverwalter) und auf deutsch Meier genannt. Er betrieb den Meierhof der Freiherren von Regensberg, die zeitweise wahrscheinlich auch die hiesigen Besitzungen des Klosters St. Gallen beaufsichtigten. Deren Bewirtschaftung besorgte sonst ein "cellerarius" (Kellerverwalter). Ein solcher wurde schon Anno 1288 erwähnt. Er bewahrte die verschiedenen Naturalabgaben im Keller des klösterlichen Kellhofs auf. Seine Untergebenen waren als so genannte Gotteshausleute etwas besser gestellt als die gewöhnlichen Leibeigenen und Hörigen; denn es hiess damals allgemein: "Unter dem Krummstab (Zeichen des Abtes) ist gut wohnen." Diese Verhältnisse änderten sich, als unsere Gegend Anno 1409 in den Besitz der Stadt Zürich gekommen war, an welche sie der verschuldete österreichische Herzog " Friedrich mit der leeren Tasche" um 7000 Gulden versetzt hatte. Nun wurde hier die Herrschaft oder Landvogtei Regensberg eingerichtet, zu der ausser 12 anderen Gemeinden auch Dielsdorf gehörte. Deren Gebieter war der stadtzürcherische Land- oder Obervogt, der als eine Art Statthalter, Gerichtspräsident und Kreiskommandant von der "Burg" herab die Unterländer mehr oder weniger gnädig regierte. Die gesamte Landesverwaltung wurde nun einheitlicher und viel straffer, wogegen sich die Bauern wiederholt auflehnten, z.B. 1489 bei jenem Handel, der zur Hinrichtung des Bürgermeisters Hans Waldmann führte.